Kemal Kurt und seine Kinderbücher
Ein Nachruf von
ILTER GÖZKAYA-HOLZHEY
Veröffentlicht in:
Merhaba Nr. 99, 01.12.02
"Meine Heimat ist dort, wo meine Bücher sind."
aus: Kemal Kurt, Was ist die Mehrzahl von Heimat, Rowohlt aktuell #13520
Es ist für einen Menschen der ersten Generation türkischer Einwanderer nicht leicht, über Begriffe wie Sterben, Tod und Bestattung zu sprechen, da man selbst diesem Endziel inzwischen viel näher gekommen ist und auch damit rechnen muss, öfter als früher solche traurigen Nachrichten zu erfahren. Aber Kemal Kurt, den wir am 21. Oktober verloren haben, war erst 55 Jahre alt, was in unserer Zeit viel zu jung für das Ende ist. Wie sehr er geschätzt wurde, wie beliebt er war, erlebte man bei der Beerdigung. Seine Erfolge zeigten, dass er nicht nur über interkulturelles Leben sprach und schrieb, sondern dass er dieses verwirklichen konnte. An seinem Grab hatten sich sehr viele Freunde versammelt, christlich oder moslemisch Orientierte.
In einem Brief vom 12.11.1998 schrieb er meinem Mann und mir: "... Wir kennen uns nun schon seit vielen Jahren. Ihr habt meinen schriftstellerischen Weg streckenweise mitverfolgt..." So ist es gewesen. Über jedes Buch, das er veröffentlichte, war ich sehr froh. Ich habe seine Bücher sehr gerne gelesen und weiterempfohlen.
In jeder 3. Klasse, die ich unterrichtete, habe ich sein Buch Sieben Zimmer voller Wunder vorgelesen. In diesem Buch entdecken Lena und Meral ein geheimnisvolles altes Haus mit sieben Zimmern. Das Buch enthält viel Stoff, den die Lehrer als Sachkunde-Themen verwenden können. Der Zufall wollte, dass in einer 3. Klasse ein Mädchen Meral hieß, wie die Ich-Erzählerin des Buches. Wie glücklich war dieses Mädchen, wie stolz die türkischen Schüler, dass der Autor den türkischen Namen Kemal trug. So sahen meine Schüler, dass Türken auch andere Berufe ergreifen können als den sicher ehrenwerten Beruf des Döner-Verkäufers. Deshalb betone ich oft, dass in deutschen Lehr- und Lernbüchern auch Texte von Schriftstellern der Zuwanderer enthalten sein müssen.
Ich schreibe an die Verlage und mache Vorschläge, welche Autoren in die Schulbücher aufgenommen werden sollen und empfehle werdenden Lehrern an den Universitäten, die Texte dieser Autoren in ihrem zukünftigen Unterricht einzusetzen. Ich hoffe, dass viele andere dies auch tun. Wie oft hatte ich den Wunsch, Kemal Kurt in unsere Schule einzuladen, damit er den Schülern aus seinen wunderbaren Büchern vorliest. Wegen seiner vielen Verpflichtungen fand sich dafür keine Zeit. Nun ist es nicht mehr möglich, und so sollten wir Lehrer sein Andenken bewahren, indem wir seine Bücher im Unterricht einsetzen. Er hat uns aufgefordert, zu singen und zu tanzen, war aber selbst ein stiller Mensch, der die Stimmungen unserer Zeit empfinden und zum Ausdruck bringen konnte. In seinem Gedicht "Nedims Gesang" schreibt er: "du bist gast auf dieser erde / dein verweilen ist von kurzer dauer / wozu die müh und plag, die vielen dinge / tanze und singe, du kommst nicht wieder ..." (menschen.orte, S. 21)
Ich hoffe, dass seine Frau die Lücke füllen kann und aus seinen Büchern vorträgt, um sein Werk im Gedächtnis der Menschen zu erhalten. Freunde und Literaten, die ihn gekannt haben, sollten sich dafür einsetzen, dass eine Bibliothek seinen Namen trägt.
Herzlichen Dank an ihn posthum und ein tiefes Beileid, besonders an seine Frau Hildegard und seine Töchter Lena und Meral, aber auch an alle, die ihm nahe standen.